WIDER DIE VERBRAUCHTEN GESTEN
Nader Mashayekhi und seine Oper Malakut
Erschienen in "Neue Zeitschrift für Musik", Nr. 6, 1997
Wider die verbrauchten Gesten
Die Gattung Oper übt eine ambivalente Anziehungskraft auf die jüngere Komponistengeneration aus. Gerade in Österreich, wo von seiten der Bundes- und Landestheater die Aufführungschancen für musikdramatische Werke durch mangelnde Innovationsbereitschaft, Ignoranz und geistige Trägheit nahezu gleich Null sind, macht sich der Trend bemerkbar, die Oper als ein artifizielles Understatement gegen das Establishment zu verstehen, als Akt der künstlerischen Selbstbehauptung und Eigendefinition. Da arbeitet beispielsweise ein Christian Ofenbauer fünf Jahre lang ohne öffentlichen Auftrag, ohne Subvention und ohne Aussicht, jemals das Produkt auf der Bühne realisiert zu sehen, an der musikalischen Umsetzung des Medea-Stoffes; da wagt der Third-Stream-Komponist und Jazzmusiker Franz Koglmann den Vorstoß in bislang neue Bühnen-Gefilde und projektiert die erste Cool-Jazz-Oper der Musikgeschichte, basierend auf französischen und amerikanischen Kultfilmen. Während die öffentlichen Häuser immer marktorientierter aufs Repertoire zurückgreifen und bestenfalls mit Berg oder Britten auf gesichertes Opernterrain setzen, konnte sich - zumindest in Wien - eine freie Opernszene etablieren, die der kulturellen Unterversorgung der Musikmetropole mit zeitgenössischen Opemwerken entgegenzuwirken sucht. Einer dieser Veranstalter, das "Wiener Operntheater" unter seinem Leiter Sven Hartberger, ist nun noch einen Schritt weiter gegangen: Neben internationaler Moderne (in den letzten Jahren: Ligeti, Penderecki, Birtwistle, Reimann, Boesmans, Adams) steht nun auch ein österreichischer Komponist auf dem Programm: Nader Mashayekhi mit der Uraufführung seiner Oper Malakut im Rahmen von "Wien Modern". Der 1958 in Teheran geborene Komponist lebt seit 1978 in Wien, studierte bei Roman Haubenstock-Ramati und ist trotz internationaler Beachtung in der Szene ein Außenseiter geblieben. Er ist einer von den Künstlern, denen das österreichische Kulturleben jede Menge Durchhaltevermögen abverlangt, um nicht angesichts der provinziellen Enge des hiesigen Geisteslebens zu resignieren. Mashayekhi ist ein typischer Vertreter der herrschenden Skepsis gegenüber dem Musikdrama im herk)mmlichen Sinn. Er weiß, daß der Guckkasten vom Publikum mehr Phantasie und Abstraktionsvermögen fordert als andere Gattungen. Oper ist eine rituelle Zaubervorstellung mit präfixierten Genres, vorgegebenen Abläufen und Handlungsmustern sowie einer Ästhetik, der man sich zuerst einmal füen muß, bevor man sie von innen heraus aufsprengen kann. In seiner ersten Oper Malakut, einem Multi-Media-Projekt mit einem Libretto von Andrea Zschunke, erfolgt die Sprengung auf verschiedenen Ebenen und mitunter so behutsam-radikal, daß die Wirkung auf den Rezipienten nicht ausbleiben kann. Die Vorlage zum Werk lieferte die gleichnamige Erzählung des persischen Schriftstellers Bahram Sadeghi, 1956 entstanden, also zu einer Zeit der geistigen Öffnung des Iran in Richtung Europa. Eine Folge dieser Liberalität war, so erinnert sich Mashayekhi, der Verlust des Glaubens "im metaphysischen Sinn; jeder sprach über Religion, als ob sie längst der Vergangenheit angehöre". Sadeghis Erzählung kehrt, wenn auch versteckt, zur Spiritualität zurück. Die Protagonisten stehen für einen existentiellen Welt-Zustand: Dr. Hattam, ein Arzt, behauptet, ein Mittel gegen das Altern gefunden zu haben. Tatsächlich injiziert er allerdings ein tödliches Serum. Sein Patient M. L. hat sich in einem Netz aus lähmender Langeweile verfangen, aus dem er sich mittels sadomasochistischer Selbstverstümmelung kurzzeitig zu befreien sucht. Die Titelfigur, Malakut (persisch für "Paradies"), die Frau des jungen Sekretärs nimmt sich in dieser Konstellation wie eine Projektionsfläche aus, eine psychologische Hintergrundfolie, vor der sich der Mord Hattams an seiner eigenen Frau abspielt. Für Mashayekhi besteht der Prozeß der Komposition einer Oper nicht darin, den Text zu vertonen. "Ich interpretiere den Text so, wie ich über die Geschichte, den Text und den Erzähler denke. Manchmal ist es, als ob eine andere Musik zum Text gespielt wird. Das mörderische Klima von Malakut entsteht in der Oper durch Mehrschichtigkeit, wobei - wie in der Erzählung - die Ebenen einander überlagern und überlappen, eine klare Unterscheidung für den außenstehenden Rezipienten nicht mehr möglich ist. Der Zustand der Verwirrung, in dem sich die Personen befinden, überträgt sich so von den ursprünglich geplanten drei (!) Bühnen nicht bloß auf den Zuschauerraum, sondern auch auf den Orchestergraben (soweit überhaupt bei diesem Werk von einem Orchestergraben die Rede sein kann, und sich Instrumentalistenensemble und Live-Elektronik nicht als eine akustische Grauzone erweisen, in der sich das eigentliche Geschehen abspielt). Parallele Handlungsstränge werden nicht nach gängigen dramaturgischen Konzepten mehr oder weniger schlüssig zusammengeführt, sondern verharren im unverbundenen Zustand, nur äußerlich geeint durch das Genre Oper und den begrenzten Schauplatz Bühne, der allerdings mittels Film-Projektionen in Richtung einer oratorienhaft anmutenden Inszenierung psychischer Zustände erweitert, ja geradezu verlassen wird. Symptomatisch für Mashayekhi - wie für manche KollegInnen seiner Generation - ist die Beschäftigung mit der Initiierung eines Werkes. "Ich habe", bekennt er, "eine Metapher für mein Schaffen gefunden: das Anfangen." Formal schlägt sich dies in Malakut durch die Umdeutung des Szene-Begriffs in "Pforte" nieder. "Pforte bedeutet Eingang, Hineingehen in etwas, etwas beginnen. Ich habe erkannt, daß ich keine Idee fortsetze, sondern immer neu anfange. Seit 1982 mache ich eigentlich nur noch Anfänge." Es ist ein gradueller und doch - strukturell gesehen -additiver Prozeß des beständigen Anfangens, der Mashayekhis Schaffen durchzieht, sei es im Streichquartett 1 + eine nacht (1995), in der Deutung des Anfangens als kontinuierliches Beginnen innerhalb eines Fragmentierungsprozesses, wie beispielsweise in Makulaturen (1992), oder aber im Verständnis des Anfangens als Setzung, signifikant in mise en scène von 1992. "Die Aneinanderreihung von Anfängen macht den Prozeß aus. Ich fange nicht nur gerne etwas an, ich gehe auch gerne zurück, um noch einmal anzufangen. Zum Neuanfang muß man zurückgehen. Und dieses Zurückgehen ist auch eine Metapher in meinem Leben. Das Zurückgehen in meine Kindheit. Gedanken brauchen Zeit, um zu reifen. Alle Gedanken, die ich jetzt verwirkliche, liegen weit zurück, auch Malakut beschäftigt mich seit 16 Jahren." Der Gedanke der "Pforte", also des Eintretens in ein Geschehen, bestimmt schon die erste Szene von Malakut, wenn ein Mann von einem Dämon befallen wird, und nimmt im weiteren Verlauf immer komplexere Formen an, die weit in die Binnenstruktur der einzelnen Szenen hineinreichen. 17 Minuten lang finden in der ersten Szene insgesamt 1001 Anfänge statt. Die Musik geht nicht weiter. Jeder Viertel-Schlag ist ein Anfang. Es herrscht - und dies trägt viel zur Atmosphäre des Werkes bei - eine beständige Anfangssituation. Selbst Handlungsstränge, die bereits szenisch und musikalisch entwickelt wurden, werden oftmals durch zeitlich achronologische Parallelhandlungen an ihren Anfang rückversetzt. Je nach dem Standpunkt des Rezipienten, je nachdem, welche Ebene er nun für sich als Gegenwart auffaßt und so für sich zum zeitlichen Bezugspunkt aller anderen Geschehnisse macht, findet die individuelle Setzung des Anfangs innerhalb des Rezeptionsprozesses statt. Daraus resultieren die multiplen Proportionen, die in Malakut vorherrschen. Das Geschehen ist - abgesehen von seiner äußeren Handlung - beständig in Gefahr, aus der Chronologie zu kippen, analog zu den Protagonisten, deren äußeres Erscheinungsbild längst jede Deckungsgleiche mit ihrem Innenleben verloren hat. Diese asynchronen Verschiebungen zwischen Außen- und Innen-welt sind es, die - verstärkt noch durch die Filmprojektionen - sich zu einem Befindlichkeitsspektrum verdichten, in dem der Prozeß der Entfernung des Menschen von der Natur in mikrokosmischen Bewegungsschüben abläuft. Die "Entgleisungen" in Malakut sind jedoch musikalisch noch weit nuancierter, als dies der Dramaturgie einer optischen Realisierung möglich ist. Gerade durch die Verbindung von akustischen Instrumenten und Live-Elektronik ergeben sich musikalisch Reibungsflächen, deren irritierender Charakter die Rezeption des Werkes von Anfang an bestimmt. Während sich das Instrumentalistenensemble in der temperierten Stimmung bewegt, operiert die Elektronik ausgehend vom Glissando - so langsam gehalten, daß es als solches nicht mehr wahrgenommen wird - im mikrointervallischen Bereich. Dadurch wird die Grenze zwischen Temperierung und Mikrotonalität verwischt. Das Ensemble verliert seine Achse, weil der Rezipient nicht mehr akustisch unterscheiden kann, ob nun temperiert gespielt wird oder nicht. "In einer Welt, in der sich Bezugnahmen fortwährend ändern, ist erst einmal Verwirrung da. Das macht die Szene aus." Diese musikalische Grenzverwischung findet in der zunehmenden Mehrschichtigkeit der einzelnen "Pforten" ihr formales Pendant. Die Zweischichtigkeit der pantomimischen Anfangsszene (Mann wird vom Dämon überfallen) wird durch die hinzutretenden Vokalstimmen der zweiten Szene zur Dreischichtigkeit erweitert, bevor in der dritten Szene durch Filmprojektionen, Vokalstimmen, Instrumentalensemble und Elektronik absolute Vielschichtigkeit erreicht wird. Diese dramaturgische Polyphonie" nimmt immer komplexere, ausästelnde Gestalt an. Erst am Schluß, wenn Dr. Hattam sein \Verk vollendet, allen das tödliche Serum injiziert hat, in ein Auto steigt und davonfährt, in dem Moment, wenn der nahe Tod allen Zurückbleibenden als unleugbare Erkenntnis und unausweichliche Zukunft vor Augen steht, inszeniert Mashayekhi musikalisch die Rückkehr des Lebens in seine naturgemäßen Bahnen, indem er pythagoräische Quinten übereinanderzuschichten beginnt und so ein archaisch-schmerzhaftes Klangfurioso erzeugt, als unmißverständliches Symbol für das Zurückkippen eines natur-entfremdeten Zustandes in das ursprüngliche Chaos, also die reine Natur. Die agierenden und reagierenden Personen in Malakut sind innerhalb dieser vielschichtigen Dramaturgie keine Opern-Figuren im herkömmlichen Sinn mehr. Die verbrauchten Gesten des Genres sind ihnen ebenso fremd wie die tradierte Rollencharakteristik. Fortwährend stehen sie am Anfang ihres eigenen Findungsprozesses. Sie definieren sich in jedem Moment neu. Manchmal kommt ihnen die Situation zuvor und weist ihnen Rollen zu, die sie in ihrem naturfremden und sie somit sich selbst entfremdenden Zustand der Verwirrung übernehmen. Dabei geht Mashayekhi nicht soweit, Geräusche oder Vierteltöne in die Vokallinien einzubeziehen. "Gesang ist geräuschhaft genug. Manche Lagen der menschlichen Stimme sind ohnehin nicht so stabil." Ebenso enthält er sich jedweder Leitmotiv-Technik, denn dies würde den schemenhaften Figuren Kontur, Halt, Verankerung, ja Persönlichkeit geben. So aber verharren sie im ausweglosen Zustand ihrer Verwirrung, bleiben Spielbälle vor einem diffusen Hintergrund.
Christian Baier
Herbstliches Gespräch in Hawei*
Interview, erschienen im Programmheft des Konzerts am 5. November 1997 im Festspielhaus St. Pölten
Heinz Rögl im Gespräch mit Nader Mashayekhi
FESTSPIELHAUS: Zu Mahlers Lied von der Erde hast du schon lange ein fasziniertes Verhältnis. Seit wann genau?
MASHAYEKHI: Ich kam immer wieder darauf zurück und jedesmal natürlich auf andere Art und Weise. Mit siebzehn sah ich in Persien zum ersten Mal eine Fernsehaufzeichnung, ich glaube mit René Kollo und Christa Ludwig unter Bernstein. Ich war hingerissen, vor allem vom ersten, dritten, vierten und fünften Lied. Noch nicht vom zweiten und sechsten.
Es gab in Teheran nur ein Plattengeschäft, in dem man klassische Musik kaufen konnte. Dort wollte ich, noch vor meinem Erlebnis mit dem Lied von der Erde, etwas von Wagner kaufen, und da haben sie Musik von Mahler gespielt. Ich dachte, das muß ich unbedingt haben. So fing es an. Einige Mahler-Symphonien, nicht alle und auch nicht alle Sätze davon, haben mich seither berührt. Später, hier in Wien, interessierte mich wieder das Lied von der Erde, vor allem die beiden Sätze, die heute beim Konzert gespielt werden: Der Einsame im Herbst und Der Abschied.
FESTSPIELHAUS: Das sind die beiden Lieder des Zyklus, die am meisten einen todessymbolischen Grundton anschlagen. Dann fällt auf, daß das Lied vom Einsamen im Herbst das am kammermusikalischsten instrumentierte Stück ist. Schon wie es beginnt, nur mit dieser Geigenlinie und dem Oboensolo, dann dessen Echo in der Flöte ...
MASHAYEKHI: Es geht mir in erster Linie um die Stimmung dieser Lieder. Um dieses "Kälte spüren". Die Kälte, die Mahler in der "Normalität" verspürt. Und dann diese letzten siebzig Takte im Abschied, in denen sich fast nichts mehr bewegt. Dieses unendliche "Ewig, ewig..."
FESTSPIELHAUS: In deiner Version singt eine Mezzosopranistin. Wie hast du sonst für Kammerensemble instrumentiert?
MASHAYEKHI: Die Streicher sind Solistisch besetzt, ansonsten versuche ich, dieselben Instrumente zu verwenden wie Mahler, bloß klein besetzt. Ich habe nur zwei Hörner, eine Posaune und so weiter. Um eine chorische Wirkung zu erzielen, spielen am Beginn von "Der Einsame im Herbst" alle höheren Streichinstrumente die Linie der ersten Violine. Ich habe auch die Horngruppe mit einem Fagott "gefüllt" oder den Kontrabaß die Rolle des Kontrafagotts übernehmen lassen. Die Celesta kommt nur dort vor, wo auch Mahler sie einsetzt. Auf die Idee, ein Harmonium einzusetzen, wie Schönberg es in seiner Kammermusikfassung tat, käme ich nie.
FESTSPIELHAUS: Welche Position nimmt nun deine eigene Komposition3 + eine Nachtfür 101 Becken ein?
MASHAYEKHI: Nachdem ich nur zwei Lieder Mahlers verwende, war meine ursprüngliche Idee, sozusagen eine "Umhüllung" zu schaffen. Die einzelnen Sätze, die ich "Pforten" nenne, nehmen nun die Position der fehlenden Lieder ein.
Das Konzert beginnt mit einer Introduktion, einer Solo-Improvisation einer Persischen Flöte, die dann in die "1. Pforte" der Musik für 101 Becken übergeht. Diese Musik ist kalligraphisch notiert und wird von vier bunt gekleideten Spielern ausgeführt. Jeder bedient je 25 (einer 26). Die erste "Pforte" dauert 7 Minuten und 30 Sekunden, das entspricht der Dauer des "Trinklieds vom Jammer der Erde". Zweite, dritte und vierte "Pforte" folgen dann auf das Lied "Der Einsame im Herbst" und ersetzen die Lieder "Von der Jugend", "Von der Schönheit" und "Der Trunkene im Frühling". Dann gibt es eine Pause. Den zweiten Teil leitet wieder die Persische Flöte ein, und es folgt "Der Abschied". Nach dem "Ewig ..." kann man keine andere Musik mehr hören! Die beiden Teile vor und nach der Pause ergeben jeweils achtunddreißig Minuten Musik, was der Gesamtspieldauer des Liedes von der Erde in etwa entspricht.
FESTSPIELHAUS: Bunt gekleidete Musikanten, die den lebenssymbolischen Gestus der anderen Lieder, zumal der symphonischen, fanfarenartigen Einleitung des ersten versinnbildlichen?
MASHAYEKHI: Ja, vielleicht ... Genau! Die neu komponierte Musik ist der Ersatz für die Lieder, die mich in meiner Jugend fasziniert haben. Was ich mache, ist eine "Übermalung" meiner eigenen Jugend.
FESTSPIELHAUS: Die Persische Flöte (statt der Bethgeschen "chinesischen Flöte" ist ein sehr archetypisches Instrument.
MASHAYEKHI: Sie ist auch schwierig zu erlernen! Man braucht sechs Monaten, um vielleicht einen Ton hervorbringen zu können, und der Resonanzraum der Mundhöhle ist für die Tonerzeugung maßgeblich. Man kann verschiedene Klangfarben erzeugen. An die vorderen Zähne angesetzt, klingt sie wie gehaucht, und auch Flageolettöne sind möglich.
FESTSPIELHAUS: Wie stellst du dich zu den Versuchen, Mahler eingeschlossen, orientalische Musik und Exotismen in der westlichen Musik zu verwenden? Oder persische Gedichte in anderen Sprachen nachzudichten?
MASHAYEKHI: Das ist fast unmöglich und bei Mahler nicht direkt geschehen. Es ist vor allem Musik des Fin de Siècle, aber nicht nur, sondern mehr als das. Bei Übersetzungen klassischer Literatur und Poesie aus dem Persischen, die im 19. Jahrhundert, soviel ich weiß, zuerst ins Französische erfolgten, kann ja oft das Wesentliche - wie zum Beispiel der Rhythmus eines "Gedankentanzes" bei Rumi, der oft bedeutsamer als die verwendeten Wörter ist - nicht übersetzt werden. In der Übersetzung wird eine andere Realität geschaffen. Die Wörter, selbst das Wort "Vogel", haben in der persischen Poesie oft eine ganz andere Bedeutung als im Westen. Was die Musik betrifft, glaube ich persönlich, daß es nicht gut ist, heutige Instrumente mit alten persischen, die sich anders entwickelt haben und auch viel leiser sind, zu mischen. Das Tar (Langhalslaute) oder die Ney (Persische Flöte) wird von einer modernen Geige mühelos zugedeckt. Was ich allerdings demnächst (mit dem Klangforum Wien) ausprobieren möchte, ist die Kombination persischer Instrumente mit Barockinstrumenten wie Clavecin, Clavichord oder Traversflöte.
FESTSPIELHAUS: Du bezeichnest die Sätze deiner Musik als "Pforten", wie auch die Szenen in deiner OperMalakut.
MASHAYEKHI: Das ist eine Tradition im Persischen. Das Wort "Bab", aus den ersten beiden Buchstaben des Alphabets gebildet (für "Pforte, Tür"), bedeutet auch "Abhandlung über etwas, über etwas sprechen". Für mich bedeutet das "Anfang".
FESTSPIELHAUS: Die verschiedenen Möglichkeiten, ein Stück anzufangen, haben in deinem Komponieren eine große Bedeutung.
MASHAYEKHI: Auch die vier Spieler der Becken, die aus ein und derselben Partitur spielen, beginnen jeweils an anderen Stellen. Die "Pforten" 1 und 3 sowie 2 und 4 stehen in Verhältnis zueinander und sind immer in einen lyrischen und einen schnellen Abschnitt zweigeteilt.
FESTSPIELHAUS: In der Disposition deiner Musik, aber auch in der Ablaufdramaturgie der von dir "komponierten" Konzerte spielt Zeitdauer eine wichtige Rolle.
MASHAYEKHI: Es geht darum, in eine andere Zeitebene, als die Realität sie darstellt, einzutauchen. Es gibt mehrere Zeiten, und ich erfahre das am eigenen Leib immer mehr, je älter ich werde. Auch seit ich einen Sohn habe, mit dem ich mich viel beschäftige. Das Erinnern an vergangene Lebensabschnitte wird mir immer wichtiger. Das Erleben "eines Prozesses in mehreren Blicken", überlagert durch je individuelle Erinnerung, spielt auch die zentrale Rolle in meiner Oper.
FESTSPIELHAUS: Hast du Mahlers Musik eigentlich bewußt auf ein kleines Ensemble übertragen? Würdest du auch gerne für große Orchester komponieren?
MASHAYEKHI: Ich bin wie ein Pfeil in einem gespannten Bogen, was das Interesse an Arbeit mit großen Besetzungen, auch das Dirigieren, betrifft. Routine-Musiker sagen allerdings oft bei einer Stelle: "Das geht nicht". Sie verstehen auch manchmal nicht, daß eine bestimmte Spielweise nicht nur Verzierung, sondern struktureller Bestandteil einer Komposition ist. Das Arbeiten mit dem Ensemble 2001 ist allein schon deswegen so schön, weil sich alle unendlich viel Zeit zum Arbeiten und Diskutieren nehmen. Und man kann sogar bei der Generalprobe noch etwas verändern.
*Nader Mashayekhi wohnte zum Zeitpunkt des Gesprächs in Hadersdorf-Weidlingau an den Gestaden der Westbahn.